Kellogg Insight - Die Rationalisierung von Entscheidungen
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Economics Strategy Juli 1, 2009

Die Rationalisierung von Entscheidungen

Warum wir uns nicht immer für die bevorzugte Variante entscheiden

Man walks up path of arrows

danleap via iStock

Based on the research of

Vadim Cherepanov

Timothy Feddersen

Alvaro Sandroni

Wenn Sie wie viele Menschen sind, dann essen Sie gerne und häufig Schokolade. Das geht schon in Ordnung, werden Sie vielleicht denken. Schließlich enthält Schokolade Antioxidantien und gilt als Stimmungsaufheller. Wenn dies auch richtig sein mag, ist es nicht der wahre Grund, weshalb Sie Schokolade essen: Sie folgen damit nur einer Argumentation, um Ihr schlechtes Gewissen beim Genuss eines fett- und zuckerreichen Lebensmittels zu beruhigen. Wir greifen oft zu scheinbar vernünftigen Erklärungen und legen uns manchmal fragwürdige Argumente zurecht, um unser Verhalten zu rechtfertigen. Eine neue Forschungsarbeit von Timothy Feddersen (Professor of Managerial Economics and Decision Sciences an der Kellogg School of Management) verdeutlicht, wie Rationalisierung -  ehemals hauptsächlicher Forschungsgegenstand der Psychologie - unsere Entscheidungen beeinflusst. Die Arbeit kann Ökonomen Aufschluss darüber geben, warum Menschen Entscheidungen treffen, die gegen anerkannte ökonomische Theorien verstoßen.

„Menschen haben Präferenzen. Da sie ihre Entscheidungen jedoch rational begründen müssen, können Entscheidungen nicht beliebig gefällt werden“, erläuterte Feddersen, der bei diesem Forschungsprojekt mit den Wirtschaftswissenschaftlern Vadim Cherepanov und Alvaro Sandroni von der Universität Pennsylvania zusammengearbeitet hat. Fedderson beruft sich dabei auf das ökonomische Grundprinzip der beschränkten Optimierung (engl. constrained optimization), nach dem der Einzelne angesichts der Beschränkungen und Anforderungen einer Situation immer nach dem größtmöglichen Vorteil strebt. „Rationalisierung bedeutet, dass die Menschen beschränkte Optimierer (eng. constrained optimizers) sind.” Eine Beschränkung [bei der Wahl einer Präferenz] besteht darin, dass ihre Psyche eine rationale Erklärung einfordert.

Im Jahr 1920 beschrieb Sigmund Freund in seiner bahnbrechenden Abhandlung „Jenseits des Lustprinzips“ das „Es“, „Ich“ und „Über-Ich“.  Er führte das Konzept von Abwehrmechanismen ein, mit denen wir Menschen gewöhnlich jene Angst unterdrücken,  die entsteht, wenn wir glauben, wir können nicht das tun, was wir gerne möchten und dennoch vernünftig sind. Freud war zwar der Erste, der das Konzept der Abwehrmechanismen beschrieb, jedoch war es einer seiner Kollegen, der einige Jahre später einen speziellen Abwehrmechanismus identifizierte. In seinem 1908 veröffentlichten Aufsatz „Rationalization in Every-Day Life“ (dt. Rationalisierung im Alltag), schrieb Ernest Jones: „Als rationale Wesen erwarten wir, dass wir für uns selbst, unser Verhalten und unsere Gedanken eine schlüssige, logische und stimmige Begründung abgeben können. Alle geistigen Prozesse des Menschen werden zu diesem Zweck beeinflusst und überprüft.“


Das Warm-Glow-Modell

Feddersen hat einen Großteil seiner beruflichen Laufbahn damit zugebracht, anhand des Wahlverhaltens menschliche Verhaltensweisen und Ansichten zu erforschen. Er ging der Frage nach, warum Menschen wählen gehen, obwohl die Stimme des Einzelnen nur einen geringen Einfluss auf das Gesamtergebnis hat. Feddersen und Sandroni entwickelten das Modell des „ethischen Wählers“, das besagt, dass Menschen sich persönlich bestätigt fühlen, wenn Sie für einen Kandidaten stimmen, den sie für moralisch oder ethisch überlegen halten. Ausgehend von diesem Modell, konstruierten sie das sogenannte Warm-Glow-Modell. Demzufolge gehen Menschen wählen, weil sie sich gut fühlen, wenn sie als verantwortungsbewusste Bürger handeln.

Manche Ökonomen haben sich dagegen gewehrt, Verhaltensweisen, die gegen die anerkannte Theorie der rationalen Entscheidung verstoßen, zu erklären und erhoffen sich vom Warm-Glow-Modell Erklärungen für dieses abweichende Verhalten. Laut dieser Theorie hat der Einzelne bestimmte Präferenzen. Er mag X lieber als Y und Y lieber als Z. Deshalb könnte man davon ausgehen, dass er X und Y immer Z vorziehen wird. Trotzdem fällt die Entscheidung manchmal auf Z. Feddersen und seinen Kollegen reichte die Warm-Glow-Theorie zur Erklärung dieser Abweichungen von der herkömmlichen Theorie nicht aus. Deshalb wendeten sie sich der Rationalisierung zu, um auf diesem Wege das scheinbar merkwürdige Verhalten zu ergründen.

Um ihren mathematischen Beweisen menschliche Züge zu verleihen, erzählten Feddersen und seine Kollegen die Geschichte einer Frau namens Dee. Dee beschließt, früher Feierabend zu machen, um mit ihrer Freundin Sally, die gerade eine neue Arbeitstelle gefunden hat, zu feiern. Als Dee das Büro verlassen möchte, erhält sie einen Anruf von ihrer Kollegin Kathy, die im Krankenhaus liegt und sich über Besuch freuen würde. Daraufhin ruft Dee Sally an und teilt ihr mit, dass sie nicht kommen kann, weil dringende Arbeiten anstehen, und bleibt im Büro.

Diese typische Verhaltensweise verstößt gegen die anerkannte ökonomische Theorie.  Zunächst scheint Dee Sally wichtiger als die Arbeit zu sein. Das Auftreten einer dritten Option - das Besuchen im Krankenhaus - sollte der Präferenz für Sally keinen Abbruch tun. Selbst wenn Dee ihre Präferenzen in der Rangordnung 1. Krankenhaus, 2. Sally und 3. Arbeit anordnen würde, dürfte sie die Arbeit niemals Sally vorziehen. Und doch hat sie sich genau dafür entschieden – Arbeit statt Sally - und damit gegen die herkömmliche Theorie verstoßen.

Ohne Rationalisierung keine Entscheidung

Das Rationalisierungsmodell bietet für Dees Verhalten eine intuitive Erklärung. „Wenn wir die dritte Alternative einführen, können wir verstehen, weshalb Dee sich nicht mit ihrer Freundin Sally treffen kann. Sie kann das Treffen nicht rational begründen“, sagte Feddersen. Eine Entscheidung, die nicht logisch begründet werden kann, kann nicht gefällt werden.

Dagegen kann Dee logisch begründen, warum sie im Büro bleibt - es stehen dringende Arbeiten an. Ebenso kann sie eine logische Erklärung dafür finden, weshalb sie früher Feierabend macht, um sich mit Sally zu treffen: Freundschaft ist eben manchmal wichtiger als Arbeit. Das ist Dees logische Begründung. Aber nachdem sie erfahren hat, dass Kathy im Krankenhaus liegt, kann Dee ihr Treffen mit Sally nicht mehr logisch begründen, da Kathy stärker auf ihre Unterstützung angewiesen ist. Diese neue Information, die eine logische Begründung ihrer ursprünglichen Präferenz unmöglich gemacht hat, lässt Dee nur noch zwei Möglichkeiten - im Büro zu bleiben oder einen Krankenhausbesuch abzustatten. Da Dee lieber arbeitet, als ins Krankenhaus zu gehen, entscheidet sie sich für das Büro.

Die Forschungsarbeit von Feddersen verdeutlicht, wie unser Unvermögen zur logischen Begründung einer Präferenz, unsere Fähigkeit zur Wahrnehmung einer bevorzugten Variante einschränkt. Darüber hinaus „gibt die Rationalisierungstheorie in zahlreichen Fällen eine eindeutige Präferenzordnung zu erkennen und die Standardtheorie nicht“, erläutern Feddersen und seine Kollegen. Dies ist von großer Bedeutung für Ökonomen und politische Entscheidungsträger, die nur Verhaltensweisen und Entscheidungen beobachten können und aus diesen dann die Präferenzen der Menschen ableiten müssen.

Laut Feddersen wirft die Forschungsarbeit zwei Fragen für die Zukunft auf. Erstens: Warum benötigen Menschen logische Begründungen? Und zweitens: Wie entscheidet eine Gruppe, welche rationalen Erklärungen annehmbar sind? „Unser Unvermögen zur Rationalisierung hindert uns manchmal daran, das zu tun, was wir möchten. Und die Frage ist: Warum lassen wir uns davon einschränken?“

Featured Faculty

Wendell Hobbs Professor of Managerial Politics; Professor of Managerial Economics & Decision Sciences; Chair of Personnel Committee

E.D. Howard Professor of Political Economy; Professor of Managerial Economics & Decision Sciences

About the Writer
Meghan Holohan is a freelance writer based in Pittsburgh, Penn.
About the Research

Cherepanov,Vadim, Timothy Feddersen, and Alvaro Sandroni. “Rationalization,”
working paper, August 25, 2008.

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