Kellogg Insight - Sind Staatsoberhäupter von Bedeutung?
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Leadership Economics Policy Juni 1, 2007

Sind Staatsoberhäupter von Bedeutung?

Der plötzliche Tod eines Staatsoberhaupts kann zu weitreichenden, unerwarteten Veränderungen in der Wirtschaft einer Nation führen

Based on the research of

Benjamin F. Jones

Benjamin A. Olken

Die alte Frage, welche Bedeutung Staatsoberhäuptern zukommt, bleibt weiterhin unbeantwortet. Trotz Jahrhunderte langer Studien und Analysen scheidet dieses Thema auch heute noch die Geister. Eines steht jedoch außer Frage: Führer sterben. Und dies, so die Forschungsergebnisse von Benjamin Jones, Hochschulassistent am Fachbereich Management und Strategie der Kellog School of Management und seines Kollegen Benjamin Olken (Harvard Society of Fellows), kann in den jeweiligen Volkswirtschaften zu schwerwiegenden und unerwarteten Änderungen führen.

Ihr Bericht im Quarterly Journal of Economics belegt ganz klar, dass unvorhersehbare Änderungen in der Führung eines Landes, etwa durch Versterben des Oberhauptes des Landes durch Unfall oder Krankheit,  Wachstumsveränderungen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nach sich ziehen kann. Angesichts dieser neuen Erkenntnisse erscheint der Einfluss politischer Institutionen auf die jeweilige Volkswirtschaft deutlich weniger wirkungsvoll als bisher angenommen.

Ökonomen, Historiker und Politikwissenschaftler diskutieren seit langem über die Rolle von Staatsoberhäuptern. Marx argumentierte, dass Staatsoberhäupter lediglich aus Optionen auswählen können, die jedoch Einschränkungen unterliegen, die sich ihrer Kontrolle entziehen. Noch abschätziger äußerte sich Tolstoi, nach dessen Einschätzung Staatsoberhäupter nicht mehr waren als Artefakte, denen man im Nachhinein eine unangemessene Bedeutung zumaß, indem man sie mit Ereignissen in Verbindung brachte, die völlig außerhalb ihres Einflussbereichs lagen. Unter diesem Gesichtspunkt sind jene „großen Männer“ der Geschichte, von denen schon Thomas Carlyle sprach, nirgends zu sehen.

Dies bedeutet nicht, dass großen, oder zumindest eigenwilligen und einflussreichen Einzelpersonen ihre Rolle als treibende Kräfte für Veränderung vollständig abgesprochen würde. Der britische Historiker John Keegan ordnet die politische Geschichte des 20. Jahrhunderts sechs Männern zu: Lenin, Roosevelt, Churchill, Hitler, Stalin und Mao. Bei dem Versuch, die extremen Alles-oder-Nichts-Sichtweisen von Führung miteinander in Einklang zu bringen, schlugen Max Weber und andere vor, das Gleichgewicht zwischen Institutionen, sozialem Druck und „charismatischen“ Einzelpersonen als Lenker der Geschichte neu zu verteilen.

Während seiner Dienstzeit als Special Assistant des US-Vizefinanzministers konnte sich Professor Jones persönlich davon überzeugen, wie—mehr oder weniger charismatische—Individuen enormen Einfluss auf die von ihnen geleiteten Organisationen ausübten. Diese monarchengleichen Staatsoberhäupter, die er auf allen Positionen der Regierung und des Globus vorfand, erhielten jedoch nicht die volle und dauerhafte Aufmerksamkeit akademischer Ökonomen.

„Forschungen, die sich mit der Frage befassen, welche Rolle Staatsoberhäupter für das Verständnis von Wachstum spielen, sind in der Wirtschaftsliteratur, die sich hauptsächlich mit gesellschaftlichen und technischen Kräften befasst, unterrepräsentiert“, sagte Jones. „Ökonomen hätten Staatsoberhäuptern durchaus Raum für Einflussnahme zugestanden, gingen jedoch davon aus, dass sich diese nicht wesentlich auswirken würde.“

Zunehmend interessiert an der Erforschung menschlichen Kapitals und der Investition in Individuen, wollte Jones die Mechanismen und Grenzen des Einflusses von Einzelpersonen in großem Maßstab untersuchen.. Er fragte sich: „Könnten sich diese gebündelten Einflüsse auf das Wachstum einer Volkswirtschaft auswirken?“

Um die Macht von Staatsoberhäuptern zu prüfen, erfassten Jones und Olken Daten über alle nationalen Staatsoberhäupter weltweit seit dem 2. Weltkrieg und glichen sie  mit den Penn World Tables, einer Datenbank mit weltweiten Wirtschaftsinformationen, ab. Sie fanden Beschreibungen von 1.108 verschiedenen Staatsoberhäuptern aus 130 Ländern aus nahezu allen Ländern zwischen 1945 und 2000. 65 dieser Staatsoberhäupter verstarben während ihrer Amtszeit an Krebs, Herzanfällen, Schlaganfällen und anderen natürlichen Ursachen.  Weitere 12 kamen bei Feuer-, Wasser- und sogar Reitunfällen ums Leben.

Damit ihre Analysen auch tatsächlich die alleinige Bedeutung einzelner Staatsoberhäupter widerspiegelten, mussten Jones und Olken sicherstellen, dass die Todesfälle zufällig waren und nicht in Zusammenhang mit tiefer liegenden wirtschaftlichen Aspekten standen. Sie achteten daher darauf, die 28 Staatsoberhäupter, die einem Anschlag zum Opfer fielen, nicht zu berücksichtigen, da ihr Tod häufig in Zusammenhang mit politischen und wirtschaftlichen Faktoren stand. 20 der 77 Staatsoberhäupter, die im Amt starben, ohne Opfer eines Anschlags geworden zu sein, konnten aufgrund nicht ausreichender wirtschaftlicher Daten nicht analysiert werden. Jones und Olken mussten sich daher auf 57 Staatsoberhäupter konzentrieren.

Nachdem sie diese zufällig verstorbenen Staatsoberhäupter ermittelt hatten, untersuchten Jones und Olken, inwieweit sich diese plötzlichen Führungsänderungen auf die jeweiligen Volkswirtschaften auswirkten. Sie führten empirische Tests durch, um die jährlichen Messungen des durchschnittlichen persönlichen Einkommens auszuwerten und verglichen die wirtschaftlichen Änderungen über Zeiträume von drei bis sieben Jahren vor und nach den 57 Todesfällen. Falls Staatsoberhäupter eine Auswirkung auf ihre jeweiligen Volkswirtschaften haben sollten, würden diese Modelle Unterschiede im Wirtschaftswachstum vor bzw. nach deren Tod aufzeigen.

Die Auswirkung der Staatsoberhäupter auf das Wachstum war beachtlich. Die Ökonomien wurden messbar gestört und weit über das, was bei unerwarteten Führungswechseln normal ist, erschüttert. Messungen der Wachstumsänderungen ergaben nach dem Tod der Staatsoberhäupter einen Wert, der um 31% über dem lag, was normalerweise zu erwarten gewesen wäre.

Aber was ist ein Staatsoberhaupt ohne ein zu regierendes Land? Könnte es vielleicht Nationen geben, bei denen die Bereitschaft, sich dem Einfluss ihrer Staatsoberhäupter zu widersetzen, höher ist als bei anderen? Nachdem Jones und Olken erkannt hatten, dass gesellschaftliche und politische Umstände eine weitreichende Auswirkung auf den wirtschaftlichen Einfluss von Staatsoberhäuptern haben können, vertieften sie ihre Datenanalyse weiter. Sie untersuchten, ob Unterschiede in der Regierungsform, dem Einkommen und der ethnischen Fragmentierung eines Landes die Fähigkeit von Volkswirtschaften, mit Führungsänderungen positiv umzugehen, beeinflussen.

Nicht alle Arten von Regierungen sind gleichermaßen empfindlich gegenüber zufälligen Führungsänderungen. Demokratien, in denen der Einfluss der Exekutive üblicherweise durch eine unabhängige Legislative und Judikative eingedämmt wird, schienen vor dem Einfluss von Einzelnepersonen auf das BIP gefeit zu sein. In autokratischen Ländern, in denen typischerweise die Konkurrenz um die Führungspositionen begrenzt ist und der Exekutive nur wenige Einschränkungen auferlegt werden, führte der Tod des Staatsoberhauptes hingegen zu erheblichen Wirtschaftsänderungen. Besonders anfällig waren Autokratien ohne politische Parteien, und solche, deren Staatsoberhaupt durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen war. Kurzgefasst bedeutet dies, dass Staatsoberhäupter umso wichtiger sind, je  unbedeutender die Rolle der Institutionen ausgestaltet ist. Im Vergleich hierzu hatten Armutsmuster und Ethnizität eines Landes wenig oder gar keinen Einfluss auf das Wachstum.

Die Bedeutung der jeweiligen Führung auf das Wachstum, die sich in den Autokratien als besonders drastisch erwies, konnte nicht als durchgehend gut oder schlecht bewertet werden. Einige Führungswechsel verstärkten oder reduzierten bereits vorhandene Entwicklungen, während andere dramatische Wendungen nach sich zogen. Einige Volkswirtschaften legten an Dynamik zu, andere schrumpften. Nach Maos Tod im Jahr 1976 (siehe Abbildung 1) erreichte China ein jährliches Wachstum von 5,9%,  was beinahe dem Dreifachen des bescheidenen 1,7-prozentigen Wachstums entsprach, das vor seinem Tod verzeichnet wurde. In deutlichem Widerspruch zur Kulturrevolution und sonstigen Maßnahmen, die wohl zu einer Wachstumsverlangsamung unter Mao geführt haben dürften, führte sein Nachfolger Deng Xiao-Ping das Land hin zu marktorientierter Politik.

Abbildung 1: Wachstum und Tod von Staatsoberhäuptern—China
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Das Wachstum in Mosambik (siehe Abbildung 2) änderte nach dem Flugzeugabsturz im Jahr 1986, bei dem Samora Machel ums Leben kam, völlig seinen Verlauf. Machel, ein kommunistischer Frelimo-Guerilla, verstaatlichte als Präsident seines Einparteien-Staats alle privaten Ländereien. Im Anschluss daran verzeichnete die Wirtschaft einen Rückgang, und das BIP nahm im Jahr durchschnittlich um 7.7% ab. Joaquin Chissano, der das Mehrparteiensystem und den freien Markt propagierte, gelang es, den Rückgang zu stoppen und ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 2,4% pro  Jahr zu erreichen.

Abbildung 2: Wachstum und Tod von Staatsoberhäuptern—Mosambik
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„Diese weitreichenden Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum haben uns wirklich überrascht", sagte Jones. „Wir waren davon ausgegangen, dass sich die Folgen nur auf einer anderen, weniger augenscheinlichen politischen Ebene auswirken würden.“

Jones und Olken untersuchten daraufhin andere politische Bereiche und versuchten, bestimmte, durch Staatsoberhäupter leicht beeinflussbare Wirtschaftsfaktoren zu ermitteln, bei denen davon auszugehen war, dass sie bei der Erklärung weitreichender, wirtschaftlicher Änderungen behilflich sein würden. Sie untersuchten die Rolle der Geld-, Steuer-, Handels- und Sicherheitspolitik. Zu diesem Zweck ermittelten sie die Quoten in den Bereichen Inflation, Staatsausgaben, Auslandshandel und bewaffnete Konflikten.

Autokratische Staatsoberhäupter, die bei der Festlegung der Geldpolitik vermutlich eine wichtigere Rolle spielten als Zentralbanken, beeinflussten die Inflationsraten. Andere Untersuchungen von Jones und Olken lassen vermuten, dass der Tod eines Staatsoberhauptes zu Änderungen in der Geldversorgung führte. Es gibt jedoch keine Belege dafür, dass sich individuelle Führung auf die Steuer-, Handels- und Sicherheitspolitik auswirkte.

Dass diese Forschungen aufdeckten, dass sich der Einfluss Einzelner auf nationale Wirtschaftskennzahlen auswirkt, ist bemerkenswert. Aber die Erkenntnis, dass Einzelpersonen etwas so Wesentliches wie das BIP manipulieren können, ist bahnbrechend. Diese Studie zeigt mögliche Mechanismen hinter den häufig jähen Wachstumsschwankungen in Entwicklungsländern auf. Außerdem weist sie sozialen und politischen Institutionen im Bereich der Wirtschaftsentwicklung eine weniger bedeutende Rolle zu. Demokratien können in der Lage sein, Länder gegen wirtschaftliche Katastrophen wie jene, die sich unter Mugabe in Zimbabwe ereigneten, zu schützen. Auf der anderen Seite können sie jedoch erfolgreiche politische Maßnahmen wie jene, die Deng Xiao-Ping in China durchsetzte, ausbremsen.

Jones und Olken, deren Interesse an diesem Thema nach wie vor ungebrochen ist und die über immer noch ergiebige Daten verfügen, setzen ihre Forschungen zu Staatsoberhäuptern, Tod und nationaler Transformation fort. Vor kurzem präsentierten sie anlässlich des Jahrestreffens der American Economic Association ihre neue Arbeit „Hit or Miss? The Effect of Assassinations on Political Institutions and War”. Diese neue Veröffentlichung zeigt wie auch die früheren Publikationen, dass anscheinend triviale Zufälligkeiten wie beispielsweise Krebsmutationen und zuckende Zeigefinger den Lauf der Geschichte verändern können.

Featured Faculty

Gordon and Llura Gund Family Professor of Entrepreneurship; Professor of Strategy

About the Writer
Dr. Brad Wible, a Science and Technology Policy Fellow in Washington, DC sponsored by the American Association for the Advancement of Science
About the Research
Jones, Benjamin F. and Benjamin A. Olken (2005). ”Do Leaders Matter? National Leadership and Growth Since World War II.” The Quarterly Journal of Economics, 120(3): 835-864.
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